Stehen vs. Sitzen: Sind Stehpulte wirklich besser?
- Sascha Bade
- 24. März
- 5 Min. Lesezeit
Sie kennen es sicher nur zu gut: Ein ganzer Tag vergeht vor dem Computer, der Nacken fühlt sich steif an, der Rücken meldet sich mit ziehenden Schmerzen, und am Ende des Arbeitstags fühlen Sie sich schlapp und ausgelaugt.

Inhaltsverzeichnis:
Dass stundenlanges Sitzen eine echte Belastung für den Körper darstellt, ist längst kein Geheimnis mehr. Viele Menschen entscheiden sich deshalb für höhenverstellbare Schreibtische oder Stehpulte und hoffen, damit alle Probleme des Sitzmarathons zu lösen. Eine Langzeitstudie der Universität Sydney zeigt jedoch, dass Sie allein durch Stehen die gesundheitlichen Risiken des Dauersitzens nicht einfach aufheben können – im Gegenteil.
Der Stehpult-Hype – warum das simple „Aufstehen“ infrage steht
In den letzten Jahren hat sich das Stehen am Arbeitsplatz zu einem regelrechten Trend entwickelt. Hersteller von Büromöbeln preisen höhenverstellbare Tische als wahre Wundermittel an: Weniger Rückenschmerzen, bessere Konzentration, mehr verbrannte Kalorien. In vielen Büros sieht man Kolleginnen und Kollegen, die sich beim Arbeiten in die Vertikale begeben.
Auf den ersten Blick klingt das plausibel: Wenn Sie weniger sitzen, schonen Sie Ihren Rücken – oder? Das stimmt leider nur bedingt. Zwar sei stundenlanges Sitzen mit hohen Risiken für das Herz-Kreislauf-System und den Bewegungsapparat verbunden, aber reines Stehen könne diese Risiken keineswegs automatisch kompensieren. Im Gegenteil: Wer über längere Phasen hinweg steht, setzt sich wiederum anderen gesundheitlichen Belastungen aus.
Wenn der Stuhl zum Gesundheitsrisiko wird
Dass zu viel Sitzen schadet, haben unzählige Untersuchungen immer wieder bestätigt. Ihr Körper wird während langer Sitzzeiten schlicht zu wenig gefordert: Muskeln bleiben inaktiv, der Stoffwechsel läuft auf Sparflamme, und selbst die Durchblutung kann leiden, weil Sie so selten in Bewegung kommen. In der Folge steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder auch bestimmte Krebsarten.
Dabei ist es natürlich verlockend zu denken, man müsse bloß aufstehen, um all das abzuwehren. Doch so einfach ist es nicht. Der menschliche Körper braucht zwar Aktivität, doch dieser Begriff umfasst mehr als nur den Wechsel vom Stuhl ins Stehpult. Wer sich ohne Unterbrechung hinstellt, bewegt sich ebenfalls kaum und belastet Beine, Venen und Kreislauf auf andere Weise.

Die Langzeitstudie der Universität Sydney analysierte Daten von über 83.000 Erwachsenen (Durchschnittsalter 61,3 Jahre), die zu Beginn keine Herzerkrankungen aufwiesen. Alle Probandinnen und Probanden trugen eine Woche lang einen Bewegungstracker am Handgelenk, der jede Aktivität und Positionsänderung registrierte.
Nach sieben bis acht Jahren werteten die Wissenschaftler die Daten erneut aus und stellten fest, dass 6.829 kardiovaskuläre Erkrankungen aufgetreten waren. Zusätzlich zählten sie 2.042 Fälle orthostatischer Kreislauferkrankungen wie Krampfadern oder chronische Veneninsuffizienz.
Die Ergebnisse waren alarmierend:
Wer mehr als 10 Stunden pro Tag im Sitzen verbrachte, hatte ein deutlich erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf- und orthostatische Erkrankungen.
Jede weitere Stunde über dieser 10-Stunden-Grenze ließ das Risiko noch einmal um 26 Prozent ansteigen.
Stehen brachte jedoch keine signifikante Verbesserung: Wer über 2 Stunden pro Tag stand, erhöhte sein Kreislaufrisiko mit jeder weiteren halben Stunde um 11 Prozent.
Kurz gesagt: Weder endloses Sitzen noch exzessives Stehen ist für den Körper ideal. Der Schlüssel liegt vielmehr in einer ausgewogenen Mischung aus Sitzen, Stehen und vor allem zusätzlichen Bewegungsimpulsen.
Warum einseitige Haltungen gefährlich sind
Stehen klingt im Vergleich zum Sitzen nach einem Fortschritt, doch beim stundenlangen Verharren in dieser Position werden neue Problemzonen geschaffen. Auf Dauer lastet eine hohe Belastung auf Füßen, Beinen und Venen, was zu Schwellungen und Durchblutungsstörungen führen kann. Außerdem treten häufig Rückenschmerzen auf, wenn die Wirbelsäule im Stand permanent angespannt bleibt.
Die wesentliche Einsicht: Unser Körper ist nicht für langes Verharren – egal in welcher Position – geschaffen. Stattdessen ist er dafür gemacht, sich regelmäßig zu bewegen. Wer sich nur stundenlang hinsetzt oder hinstellt, bleibt letztlich in einer statischen Haltung gefangen.
„Aber ich treibe doch Sport!“
Möglicherweise machen Sie regelmäßig Sport und glauben, dadurch den Schaden des Sitzalltags wieder gutzumachen. Tatsächlich ist Bewegung in der Freizeit ein wichtiger Faktor für die Gesundheit. Doch selbst ein intensives Training nach Feierabend kann nicht alle negativen Auswirkungen des Dauersitzens aufheben.
Das bedeutet allerdings nicht, dass Ihr Workout umsonst ist. Sport ist und bleibt ein entscheidender Baustein, um Herz, Kreislauf und Muskulatur zu stärken. Doch wenn Sie den restlichen Tag komplett inaktiv sind, verpufft ein Teil der positiven Effekte. Darum ist es essenziell, schon während der Arbeitszeit regelmäßige Bewegungsimpulse einzubauen.
Fünf Praxis-Tipps für Ihren Büroalltag
Wecker stellen: Aktivieren Sie alle 60 Minuten einen Wecker oder eine Erinnerungsfunktion, um aufzustehen und sich kurz zu bewegen. Ob Sie nur ein paar Schritte gehen oder leichte Dehnübungen machen – Hauptsache, Sie durchbrechen das lange Sitzen.
Telefonate im Gehen: Wenn Sie telefonieren, nutzen Sie die Gelegenheit, ein paar Schritte zu gehen. So erhöht sich fast nebenbei Ihre Schrittzahl, und Ihr Kreislauf kommt wieder in Schwung.
Aktive Pausen einplanen: Suchen Sie sich eine kurze Treppe im Bürogebäude oder gehen Sie ein paar Minuten an die frische Luft. Auch einige Kniebeugen oder Schulterkreise sind schnell gemacht und beleben Muskeln und Gelenke.
Steh-Sitz-Dynamik: Wenn Sie einen höhenverstellbaren Schreibtisch haben, wechseln Sie am besten alle 20 bis 30 Minuten zwischen Sitzen und Stehen. Vermeiden Sie es jedoch, stur im Stand zu bleiben – die Devise lautet: Abwechslung.
Meeting-Spaziergänge: Kleine Meetings müssen nicht immer im Konferenzraum stattfinden. Nutzen Sie, wenn möglich, einen kurzen Spaziergang an der frischen Luft, um sich auszutauschen. Das fördert nicht nur die Durchblutung, sondern auch oft die Kreativität.
Der Mix macht’s
Weder das Sitzen noch das Stehen ist grundsätzlich gut oder schlecht. Beide Haltungen haben ihre Daseinsberechtigung, sofern Sie nicht stundenlang in ihnen „festwachsen“. Wenn Sie sich im Alltag konsequent darin schulen, mal eine Weile zu sitzen, dann aufzustehen und sich zu bewegen, danach vielleicht im Stehen zu arbeiten, wieder ein paar Schritte zu gehen und sich anschließend erneut zu setzen, reduzieren Sie das Risiko für Herz-Kreislauf-Beschwerden und orthostatische Probleme deutlich.
Ein moderner, höhenverstellbarer Tisch kann also ein wertvolles Werkzeug sein. Allerdings ändert er nichts an einem insgesamt sehr inaktiven Lebensstil, wenn Sie sämtliche anderen Routinen unverändert lassen. Machen Sie sich bewusst, dass kleine Veränderungen im Alltag oft große Wirkung haben: Statt den Aufzug zu nehmen, können Sie Treppensteigen in Ihre Routine integrieren; statt sich direkt nach dem Mittagessen an den Schreibtisch zu setzen, könnten Sie einen kurzen Verdauungsspaziergang machen.
Gerade diese „Mini-Workouts“ sind es, die Ihren Körper immer wieder aus der Passivität reißen und Ihrem Kreislauf die nötigen Impulse geben. Jeder Schritt, jede Dehnung, jede Treppenstufe summiert sich.
Fazit: Bleiben Sie in Bewegung
Die Erkenntnisse der Studie sind ein Weckruf, jedoch kein Grund zur Resignation. Dass stundenlanges Sitzen ungesund ist, wussten wir bereits. Neu ist die klarere Botschaft, dass ausschließliches Stehen ebenfalls nicht das Allheilmittel darstellt. Wer also glaubt, er könne sich durch bloßes Aufstehen vor sämtlichen Sitz-Folgen retten, greift zu kurz.
Entscheidend ist die Mischung:
Sitzen ist nicht der Feind, solange Sie es nicht übertreiben.
Stehen hat durchaus Vorteile, wenn es nicht zur Dauerhaltung wird.
Bewegung – und zwar möglichst regelmäßig – ist die eigentliche Lösung.
Setzen Sie auf dynamische Abläufe im Büro: Wechseln Sie Sitz- und Stehphasen ab, legen Sie bewusst kurze Gehpausen ein, und achten Sie darauf, dass Ihr Körper nicht in Monotonie versinkt. Ein abendlicher Fitnesskurs ist natürlich hilfreich, ersetzt jedoch nicht die vielen kleinen Aktivmomente, die im Verlauf des Arbeitstages auftreten sollten.
Wenn Sie diese Prinzipien in Ihr Arbeitsleben integrieren, werden Sie schnell spüren, wie Ihr Rücken entlastet wird, Ihre Konzentration steigt und Ihr allgemeines Wohlbefinden sich verbessert. Statt „nur“ zu sitzen oder „nur“ zu stehen, finden Sie den goldenen Mittelweg: mehr Abwechslung, mehr Dynamik, mehr Lebensqualität. Ihr Körper wird es Ihnen danken!
Quellen
Link zur Studie: https://academic.oup.com/ije/article/53/6/dyae136/7822310
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